Sie geht – und zwar für immer! (Teil 2/2)

→ Teil 1/2

Mittlerweile ist unsere veränderungswillige Heldin fertig mit Packen. Jetzt hält der Kameramann doch noch kurz auf das Köfferchen drauf. Man sieht, wie die abreisebereite Frau entschlossen den Kofferdeckel zuschlägt und mit hektischen Bewegungen die beiden Verschlüsse zumacht und einen Koffergurt (wo kommt der denn plötzlich her?!) zuschnürt. Sie zerrt den Koffer vom Bett und verlässt das nun nicht mehr gemeinsame Schlafzimmer.

Ihr Weg führt sie durch den Flur. Dort greift sie noch schnell an die Garderobe und nimmt beiläufig ein helles dünnes Mäntelchen mit, das sie sich überwirft, bevor sie die Wohnung verlässt und die Tür hinter sich zuzieht.

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Die erkennbar gepflegte Frau war nicht mehr im Badezimmer, um ihren Kulturbeutel mitzunehmen. Sie hat auch offensichtlich ihre Hausschlüssel nicht dabei. Finden Sie das glaubwürdig? Und was die absolute Krönung ist: Sie war nicht einmal mehr aufm Klo. Können Sie sich ernsthaft vorstellen, nicht mehr aufs Klo zu müssen, bevor Sie für immer Ihr altes Leben verlassen?! Das ist doch geradezu abwegig, zumindest für eine Frau!

 

 

 

 

 

 

 

Aber der Wahnsinn geht noch weiter. S-c-h-n-i-t-t! Als Nächstes sehen wir unsere Heldin beim Verlassen des chicen Mietshauses. Sie stürmt hinaus – umweht von den Rockschößen ihres dünnen Mäntelchens. Denn sie geht schnell und wird von ihrer deutlich erkennbaren Wut getrieben.

Vor dem Haus … und zwar unmittelbar davor … wartet bereits ein blitzsauberes, gepflegtes Mittelklasseauto, gesponsert von einer einschlägigen Automarke. Immerhin hat der Continuity Manager unseres Films darauf geachtet, dass es sich nicht um ein Cabrio mit geöffnetem Dach handelt – denn wir haben ja bekanntlich Winter.

Diese Geschichte spielt in einer nicht näher bezeichneten deutschen Großstadt. Ich gehe davon aus, dass es sich um Berlin, München, Hamburg, vielleicht auch um Köln handelt. Es muss einen sachlichen Grund geben, warum Frauen, die in solchen Filmen ihre Männer verlassen, niemals über einen Tiefgaragenstellplatz verfügen. Nein!, diese Frauen haben grundsätzlich in kritischen Lebenslagen unmittelbar vor der Haustür geparkt. Das ist einfach praktisch!

Wenn auch Sie in einer deutschen Großstadt wohnen, wissen Sie ja selbst, wie wahrscheinlich es ist, dass man direkt vor der eigenen Haustür einen Parkplatz findet. Und dann auch noch ausgerechnet am Vorabend des Tages, an dem man beschließt, ein neues Leben anzufangen. Wäre ich an der Stelle dieser Frau, würde ich diesem Umstand große Bedeutung beimessen. Das hat geradezu den Charakter eines Omens! Man verlässt doch keinen Mann, vor dessen Haus man in einer derartigen Ausnahmesituation einen Parkplatz gefunden hat!

Zieht sie nun tatsächlich woanders hin, kann ihr Leben eigentlich nur unbekömmlicher werden. Solche Vorzeichen kann man meiner Meinung nach gar nicht ernst genug nehmen. Und wenn Sie es sich mal recht überlegen, gehen auch die meisten Filmheldinnen, die für immer wegwollten, zum happy end wieder genau dahin zurück, wo sie ihren Wagen abgestellt bekommen.

© The Commuter, revised 2018

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