Eigentlich gehört Bastei Lübbe nicht zu den Verlagen, mit denen ich beruflich oder privat häufig Kontakt habe, aber – eins muss man ihnen lassen: Das Rezensieren machen sie einem wirklich leicht, diese Kölner*innen! Das Rezensionsexemplar kam – obwohl es sich doch um ein Bahnbuch handelt – in Schallgeschwindigkeit an seinen Bestimmungsort, und einmal mehr findet die nicht abgeneigte Rezensentin auf die Schnelle und auf einen Blick im oder am Buch alles, was sie für eine erste Orientierung braucht.

Aufgeklappt (inklusive der beiden ausklappbaren, beidseitig farbenfroh bedruckten Klappen) ist das Cover eine Abteilszene (Großraumwagen), wobei die Sitze und vor allem der Abstand zwischen ihnen auf ein 1. Klasse-Abteil schließen lassen.

Aha!, jetzt weiß ich auch gleich, warum ich die beiden Autoren bisher noch *nie* getroffen habe, obwohl wir doch alle drei Vielfahrer*innen sind … Sie reisen vermutlich 1st class, was mir in der Regel nicht vergönnt ist. Manchmal rede ich mir deshalb ein, dass das wahre Leben sowieso in der 2. Klasse spielt und nicht in der geräumigen 1. Klasse, wo man eher mal solchen smarten und kultivierten Herren in dunklen Jacketts und hellblauen Hemden (heutzutage meist ohne Krawatte) begegnet, wie es die Hamburger Autoren sind, die beide für DIE ZEIT schreiben.

Wo fange ich an? Wo höre ich auf? „Tschusing Deutsche Bahn today“ ist eine Art Anschlusszug von „Senk ju for träwelling …“, das Mark Spörrle vor ein paar Jahren mit einem anderen Co-Autor geschrieben und womit er einen Riesenerfolg gelandet hat, denn: Kaum ein Bahnkunde, kaum eine Bahnreisende, die *nicht* wusste, wovon hier die Rede war …
„Senk ju for träwelling“ oder „Tschusing Deutsche Bahn today“ sind beides verzerrte Lautsprecherdurchsagefragmente, die beim Niederschreiben mindestens so schmerzen, wie wenn man sie – was tatsächlich bis heute noch passieren kann – live mitanhören muss. Ich könnte aus eigener Reise„tätigkeit“ ähnlich gelungene Ansagen ergänzen und dazugehörige Anekdoten erzählen oder aufschreiben, aber … leider bin es, einmal mehr, nicht ich, die dieses „bahnbrechende BBB“ = „BahnBashingBuch“ geschrieben hat, sondern die beiden Hamburger … im weitesten Sinne … Kollegen.

Das muss ein 1.-Klasse-Abteil sein,
denn hier ist mehr als der Mindestabstand von 1,5 m
zwischen den gegenüberliegenden Sitzreihen eingehalten …

Aus der unermesslichen Vielzahl der auf knapp 270 Seiten präsentierten Bahnerlebnisse und mehr oder weniger kleinen „-unglücke“ greife ich ein paar Episoden heraus, die mich als „Mitreisende“ besonders angesprochen und/oder interessiert haben – heute mal in geänderter Wagen– … ähm … Kapitelreihung:

Erster Halt (Kap. VII: KOMMUNIZIEREN ODER NICHT?!): „Unangenehm sind immer nur die anderen“ (Seite 199)
Bei ihrer Beschreibung typischer Mitreisender und Neben-einem-Sitzender enden die beiden Autoren mit dem/der „normalen Bahnfahrer/in wie Sie und wir“, zu der ich mich selbstverständlich auch selbst zähle: „[…] schließlich kennen Sie sich selbst und wissen genau, dass es sich bei Menschen wie Ihnen um sensible, aber zugleich durchsetzungsstarke, weil hochintelligente und vorausschauende Personen handelt, […]“. So ist es! Was für ein Glück für meinen Sitznachbarn/meine Sitznachbarin oder mein Gegenüber, wenn er/sie ausgerechnet *mich* als Reisebegleiterin erwischt!
Ich bin ruhig. – Ich habe mich heute Morgen geduscht. – Ich esse nicht während der Fahrt, erst recht nichts übel Riechendes. – Ich bin gebildet. – Ich möchte (meistens) nicht sprechen, sondern einfach nur in Ruhe Hörspiel oder Musik hören oder lesen. – Ich telefoniere nicht (jedenfalls nicht so laut und nicht so privat oder ostentativ dienstlich wie die anderen). – Ich reise ohne Gepäck und stelle dieses insofern auch nicht mitten im Durchgang ab. Und nein!, ich bewege mich kaum. – Ich lasse noch nicht einmal abrupt den Sitz nach hinten schnellen in die Neigeposition. Will sagen: Ich bin eigentlich gar nicht da. Okay, ich erhebe Anspruch auf die Ladebuchse (auch bei vollgeladenem Smartphone).
Und: Ja, ich gebe es zu: Ich gehöre zur Gattung der „Mitleserinnen“, die – das haben Mark Spörrle und Claas Tatje gut erkannt – meist oder nahezu ausschließlich in der weiblichen Form auftreten (Seite 195). Ich rede mir das schön, weil es in meinem Falle eine Art Berufsdeformation ist: Ich kann gar nicht anders als mitzulesen, wenn ich etwas Gedrucktes sehe.
Lieber @ Mark Spörrle, lieber @ Claas Tatje, entspannen Sie sich, falls wir uns doch mal im 1.-Klasse-Abteil über den Weg laufen. Mit zunehmendem Alter und wachsender Weitsichtigkeit (die man beim Bahnfahren gut gebrauchen kann) wird das schwieriger mit dem Mitlesen, wenn man die mitgeführte Lesebrille nicht anziehen mag. Das wäre dann doch arg auffällig, wenn einem der Sinn nach kostenlosem Mitlesen steht …

Zweiter Halt (Kap. IV. WARTEN AUF DEN ZUG): Wo ist der Lokführer? (Seite 105 ff.)
„Sehr geehrte Damen und Herren, unsere Weiterfahrt verzögert sich um wenige Minuten. Wir warten noch auf den Lokführer.“ (U3) – Klingt absurd und erfunden?! Ist es aber nicht! Habe ich selbst so erlebt, und zwar im Frankfurter Hauptbahnhof, immerhin in einem ICE sitzend und nicht in irgendeinem Vorort-Regio … Das war an einem dieser Tage, an denen wieder „irgendwas war“, denn „irgendwas ist ja bekanntlich immer“. Der Wortlaut der Durchsage, auf die ich schon so lange gewartet hatte, ging so: „Leider ist uns der Lokführer abhanden gekommen.“

Hat der Lokführer etwa heimlich den Zug verlassen …?! Und was ist in dieser Tasche drin …?! Fragen über Fragen …

      Ehrlich gesagt finde ich einen abhanden gekommenen Lokführer *noch* krasser als einen, auf den man einfach nur noch ein bisschen warten muss. „Warten“ gehört ja schließlich zur Kernkompetenz eines Bahnreisenden. Aber ein „abhanden gekommener“ Lokführer beflügelt doch die Fantasie ungemein: Hat man ihn unterwegs verloren?! Ist er in einem Bahnhof vergessen worden, als er mal kurz ausgestiegen war um pieseln zu gehen?! Oder …?! Sie sehen schon … der Kopf rattert und lässt die abwegigsten Geschichten und Auflösungen entstehen.

      In diesem Falle traf der Lokführer kurz danach ganz undramatisch ein. Er war schlicht zu spät gekommen – was einen natürlich nicht wirklich wundert, war er doch mit einem anderen Zug zum Frankfurter Bahnhof angereist …

Dritter Halt (Kap. V. EINSTEIGEN): Die Luxus-Reisebloggerin Svemirka Seyfert (Seite 136 ff.)
Jetzt aber Moment mal! Ich dachte immer, *ich* sei das! Okay, vielleicht nicht „Luxus-“, aber doch immerhin DIE Reisebloggerin bzw. DIE Passagierin mit eigenem Pendler*innenblog … Da scheint es also jemanden mit schwierig zu merkendem Vornamen zu geben, der/die mir hier meine Sitzplatzreservierung streitig machen will?! DAS werden doch mal sehen! Immerhin war ich bis vor kurzem noch BahnComfort-Kundin, bis mir die Bahn diesen herausragenden Vielfahrerstatus stillschweigend wieder entzogen hat. (Aber über diese Schmach und Ungerechtigkeit … und wie ich finde auch, dieses schlechte Kundenmanagement der DB … habe ich mich bereits ausgiebig ausgelassen; siehe dort). „Liebe @ Frau Seyfert, bitte entschuldigen Sie, aber: Das ist *mein* Platz, den ich Sie bitten muss, unverzüglich freizugeben an bedürftigere und anspruchsvolle Personen wie mich.“

Vierter und vorläufig letzter Halt (Kap. II. PLANEN): Ohne App und ohne Komfort-CheckIn nur ein halber Mensch (Seite 41 ff.)
Klar hab‘ auch ich den DB-Navigator. Und natürlich kann ich Komfort-CheckIn. Nur ist es leider so, dass der Komfort-CheckIn *mich* meistens kann … — und zwar mal sowas von! Denn in den wenigsten Fällen funktioniert er, so meine Erfahrung. Am schrägsten finde ich, dass er ausgerechnet auf BahnComfort-Sitzplätzen (die mir nun ja leider mangels BahnComfort-Status eh nicht mehr zustehen und die ich mir Corona-bedingt auch so schnell nicht wieder werde „erfahren“ können) gar nicht funktionieren *soll*. Das finde ich paradox. Aber vielleicht hat sich das ja zwischenzeitlich geändert – ich bin schon so lange nicht mehr mit der Bahn gefahren …

So, das ist nun erstmal wieder genug für heute.
Diese Bahnfahrt durch das neue Bahnbuch von Mark Spörrle und Claas Tatje ist wie im Fluge vergangen. Hier muss ich raus! – Beim nächsten Mal, wenn ich unterwegs bin, können wir uns gern noch die anderen Kapitel anschauen, und wir haben ja noch gar nicht über Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit (vgl. Untertitel) gesprochen. – Moment!, damit meinte ich jetzt *nicht*, dass Sie in meinem Buch mitlesen sollen! Bitte kaufen Sie sich ein eigenes, von mir aus auch ein E-Book. Vielleicht habe ich ja meinen gönnerhaften Tag und überlasse Ihnen mal für einen Teil der gemeinsamen Fahrt die Ladebuchse …

Mark Spörrle | Claas Tatje, Tschusing Deutsche Bahn today. Klimafreundlich reisen, ohne wahnsinnig zu werden. Köln: Bastei Lübbe AG (ach so, gar kein Verlag, sondern eine AG?!) 2021, also: ganz neu, wie der ICE 4