Nicht nur zwischen Menschen, sondern auch bei der Liebe oder zumindest Sympathie gibt es genauso zwischen Büchern und Menschen so etwas wie die „Liebe auf den ersten Blick“.
Diesen „Click“ zwischen „Wie rote Erde“ und mir hat es auch gegeben, als ich mein Rezensionsexemplar – vorher hatte ich das Buch „nur“ auf der Buchmesse im Regal entdeckt – in den Händen halte. Das liegt sicherlich auch am geschmackvollen Cover, das ich zwischen Messe und „Entpackung“ sofort wiedererkenne. Ja, genau!, so sah das aus!
Dabei ist die Erde, die aufm Cover zu sehen ist, noch nicht einmal richtig rot. (Ich habe hier beim Bild ein wenig nachgeholfen …). Die Assoziation „rot wie Blut“ hatte ich komischerweise bei meiner Erstbegegnung mit dem Buch auf der Messe überhaupt gar nicht – jetzt drängt sie sich trotz der zurückgenommenen Farben sofort auf. Vielleicht liegt das an den zum Teil blutrünstigen Schreckensnachrichten, die in den letzten Tagen durch die Medien gingen …
Jedenfalls hat das Buch von Anfang an keine neutrale Wirkung auf mich, sondern zieht mich gleich zu sich und natürlich, wie es sich für einen guten Roman gehört, in sich hinein.
Der nächste Grund dafür dürfte der erste Satz sein. Der berüchtigte erste Satz ist nicht erst so wichtig (geworden), seit es Amazon und den „Blick ins Buch“ gibt. Er hat schon immer darüber entschieden, ob man intuitiv sofort Lust aufs Weiterlesen bekommt. Und bei mir schnappt diese „Lesefalle“ sofort zu:
Eins
Ich wurde geboren auf Ngurambang – hörst du das? – Ngu-ram-bang.
Sofort bedauere ich, dass ich das Buch nicht in seiner englischen Originalsprache vor mir liegen habe.
Räm-bäm … Das hätte noch mehr gegroovt als die deutsche Aussprache … ramm banng …
Macht aber nichts, denn so geht es weiter – und trifft den thematischen Nagel dieses Blogs ziemlich genau auf den Kopf … und schleicht sich gleich eine Etage tiefer ins Rückenmark.
[…] Wenn du es richtig aussprichst, schlägt es hinten im Mund an, und du solltest in deinen Worten Blut ((aha!)) schmecken. Jeder Mensch in diesen Gegenden sollte das Wort für Land in der alten Sprache, der ersten Sprache, lernen – denn das ist der Weg, der zu allen Zeiten hinführt, zu mystischen Reisen! Ihr könnt euch ganz zum Anfang zurückbegeben.
Dieser erste Absatz klingt ganz so, als habe man einer künstlichen oder menschlichen Intelligenz ein paar einschlägige Reizwörter hingeworfen (gepromptet) – und sie hätte daraus einen animierenden Text gemacht … Von Blut über Land und der Sprache bis hin zu Weg und Zeit zur Reise und zum Anfang … das ist der Stoff, aus dem dieses Buch und eben auch mein Blog gewoben sind.
Und wieso überhaupt „auf Ngurambang“ und nicht „in“?! Ist „Ngurambang“ (ich kann es gar nicht oft genug sagen) ein Berg?! Oder eine Insel?! Oder gar ein Planet?!
Die Philologin in mir liebt natürlich auch den kleinen „eingewobenen“ Sprachkurs, den dieser Roman mitreisen lässt und den die Autorin, Tare June Winch, uns und ihrer Erzählerin und durchaus auch Heldin August Gondiwindi mitgibt. August ist eine Frau und Australierin, genauer gesagt Aboriginal. Sie lebt in London, doch der Tod ihres Großvaters führt sie zurück in ihr „Herkunftsland“ und damit zu ihren Wurzeln und Ursprüngen – auf eine Suche nach ihrer Zugehörigkeit. Wieder habe ich den Eindruck, dass hier jemand den Roman mit Prompts gefüttert hat, die alle von mir hätten sein können.
„Seelenverwandtschaft“ wäre zu viel gesagt – dazu ist mir die Kultur und Seele der „Aborigines“ zu fern und zu fremd, aber sie erscheint mir zugleich auch so spannend und originär, dass ich mich gern tief in die „rote Erde“ hineingraben möchte.
Nochmals zurück zur Sprache: Es gibt sogar am Ende des Buches ein mehrseitiges Glossar bzw. Wörterbuch der hier verwendeten Sprache der Aborigines bzw. genau gesagt: der Wiradjuri, das Augusts Großvater Albert erstellt hat und zu Ende führen wollte. (Ich merke gerade beim Schreiben, wie sehr ich um politische Korrektheit ringe und versuche, bloß nichts Falsches oder zu grob Vereinfachendes zu sagen.)
Leider kann man hier die Wörter nur lesen und deren Aussprache nur erahnen – vielleicht hat aber das www. einen Readspeaker parat, mit dem man sich in den Klang der Sprache einhören kann … das probiere ich gleich mal aus.
Tara June Winch, Wie rote Erde. Roman. Aus dem Englischen von Juliane Lochner. © der deutschen Übersetzung: Innsbruck-Wien, Haymon Verlag 2022, 374 Seiten. ISBN: 978-3-7099-8155-9