„Passagiere der Nacht“, die zudem noch als „Drama“ ausgeflaggt sind, ist doch klar, dass ich als „Die Passagierin“ ohne (Tages-)Zeitangabe da hellhörig werde. Passagiere sind schon aufgrund ihres Unterwegs-Seins irgendwie stillschweigend solidarisch miteinander, und genau so ist es auch hier.
Die „Passagierin der Nacht“, von der hier vordergründig die Rede ist, heißt (in echt) Charlotte Gainsbourg und ist zweifellos eine Wandererin zwischen den Welten. Hier verkörpert sie – im Paris der 1980er Jahre – Elisabeth, eine inzwischen alleinerziehende Mutter zweier Kinder an der Schwelle zum Erwachsensein – oder bereits darüber hinaus.

Seit ihrer Scheidung und ihrer (einseitigen) Brustamputation infolge einer Krebserkrankung – das dürfte für genügend (nächtliche) Dunkelheit sorgen und reichen – hat sie Geld- und Schlafprobleme, wobei die finanziellen Sorgen u.a. die Schlafprobleme bedingen … Ein weiterer Grund fürs Nicht-zur-Ruhe-Kommen ist die Einsamkeit, die Elisabeth trotz ihrer Tochter und ihres Sohnes, die zu Beginn des Films noch beide bei ihr wohnen, empfindet, seitdem ihr Mann die Familie verlassen hat.

Elisabeth betäubt die schlaflosen Nächte, indem sie eine nächtliche Live-Radiosendung hört, in der andere Schlaflose der frustrierten und wohl ebenfalls einsamen Moderatorin, von der Stimme mal abgesehen anonym, ihre Probleme, Sorgen und Nöte, aber auch Besonderheiten / Absonderlichkeiten anvertrauen. Wobei „anvertrauen“ hier natürlich das falsche Wort ist, hört doch die ebenfalls die Nacht totschlagende Radiogemeinde mal mitfühlend, mal sensationsgierig dabei zu.

Von der passiven Zuhörerin zur Akteurin wird Elisabeth, als sie im nächtlichen Studio der einsamen Herzen einen Job als „Telefonistin“ annimmt. Damit ist gemeint, dass sie die Anrufe der “Nighthawks“ entgegennimmt und sozusagen „vorfiltert“, wen von den Anrufern man, aus verschiedenen Gründen, durchstellen kann, in den nächtlichen Kummerkasten, zur Moderatorin – und wen eben auch nicht, weil zu „durchgeknallt“ oder aggressiv oder beides.

So weit zum „Passagier“-Bild, das mich neben Charlotte Gainsbourg in den Film hineingezogen hat … So richtig passt es nicht für mich mit der „Passagierin“, denn eigentlich ist Elisabeth eher „statisch“ und „Lage-orientiert“. Schließlich verharrt sie die meiste Zeit, in der der Film spielt (die Handlung geht über 5 Jahre), in ein und demselben Apartment in einer Pariser Hochhaus-Vorstadt, die allerdings zu dieser Zeit noch nicht geprägt zu sein scheint von den Problemen, die heute aus den Pariser Vorstädten bekannt sind. Die nächtlichen Kameraeinstellungen von den rings um das große Wohnzimmerfenster aufragenden Hochhausblöcken haben eine ganz eigene Ästhetik, fast könnte man es „Charme“ nennen.

(Aus: arte-Magazin 03/24, Seite 27)

Doch am Ende des Films gibt es eine – zu meiner Freude literarische, aber geheimnisvolle – Auflösung für die „apokryptische“ Wahl des Titels … Er stammt aus einem Gedicht einer mir bis dato unbekannten französischen Dichterin – und der Teil mit den „Passagers de la nuit“ geht so – ich liefere das französische Intro mitsamt (flüchtiger?) Quelle hier einfach mal mit, für die „Wanderer zwischen den Sprachen“ (https://www.pointculture.be/magazine/articles/critique/les-passagers-de-la-nuit-mikhael-hers/#; Zugriff 03/2024):

Des échos tels que celui-là, il y en a quantité dans «Les Passagers de la nuit», ne serait-ce que par le biais de la radio, mais aussi dans la bande-son d’Anton Sankko, dans les chansons et la voix off citant «Les Petites Terres» de Michèle Desbordes, roman dont est extraite une longue citation où vient se loger, de manière parfaitement apocryphe, le titre du film:

«Il y aura ce que nous avons été pour les autres,
simplement nous étions là, il y avait quelque chose de chaud, d’éternel,
et nous n’étions jamais les mêmes, ces inconnus magnifiques,
des fragments de nous, ces passagers de la nuit.
— »

Dem ist bzw. habe ich nichts hinzuzufügen.
Vous comprenez – ou non …

„Passagiere der Nacht (Les Passagers de la Nuit)“. Drama (F 2022). Regie: Mikhael Hers, mit: Charlotte Gainsbourg als Elisabeth und dem Paris der 1980er Jahre als zumindest mal bester Nebendarstellerin.