Ausgecheckt und nicht wieder eingeloggt

Heute geht es zur Abwechslung mal wieder nicht um ein Buch zum Thema „Unterwegs-Sein“, sondern um einen Fernsehfilm, zu dem es meines Wissens auch keinen Roman als Grundlage gibt, aber immerhin ein Drehbuch. Und das geht so:

Die unscheinbare Caro, wunderbar reizlos gespielt von Silke Bodenbender, arbeitet als Pflegerin auf einer Demenzstation. Sie ist – bei aller Liebe zu ihren Patienten – total am Ende, erschöpft, ausgebrannt, … fertig. Flasche/Akku leer.


Nur merkt das niemand außer ihr. Nicht einmal ihre Lieblingspatientin, Frau Rumi, die selbst ab und zu davon träumt, „einfach abzuhau’n“. Nicht, „um ein Segelboot zu klau’n“, sondern zum Flughafen zu fahren und aus der Tristesse des Heim-, aber nicht Heimatalltags auszubüxen.
Das wird ihr posthum im späteren Leben auch gelingen, aber davon nachher mehr.

Auch Caros weltfremder und stinklangweiliger Mann Markus ahnt und merkt nichts davon, wie ernst es um Caro steht, obwohl ihre Dauermüdigkeit ihn nervt. Er träumt immer noch (erfolglos) von einer Karriere als Musiker/Komponist/Texter (nennen wir es also „Singer/Songwriter“), obwohl er schon seit Jahren nichts mehr auf die Reihe kriegt, was natürlich auch nicht gerade zur zwischenmenschlichen Zufriedenheit und Erotik beiträgt.

In verschiedenen Schnittfolgen und nicht chronologischen Szenen können wir Caros (heimlichen) Ausstieg miterleben und mit ihr mitgehen.
Schön und vielversprechend ist die Szene gleich am Anfang, in der sie aus einem Schließfach am Frankfurter Hauptbahnhof – ich meine, genau diese Stelle wiederzuerkennen – einen zuvor gepackten und deponierten Rucksack herausholt und einfach aufbricht – Destination „Natur“, zwar mit Ein-Personen-Zelt, aber ohne Smartphone und vor allem ohne Plan, geschweige denn Trekking-Erfahrung.

Tatsächlich driftet der Film leider hin und wieder ins Slapstick-Hafte ab, etwa, wenn Caro/Silke mit ihrem Zelt und gegen die Naturgewalten kämpft, aber okay, geschenkt! Sie ist halt am Ende – insofern wollen wir nicht zu streng mit ihr sein.

Zumal allerlei skurrile und schräge Szenen für diese vermeintlichen Systemschwächen entschädigen. So taucht Lieblingspatientin Frau Rumi, die zwischenzeitlich unrühmlich verstorben ist, noch ohne den Flughafen erreicht zu haben, als eine Art „guter Geist“ immer wieder einmal unverhofft auf, sei es in einem Tümpel im Wald als „Mitschwimmerin“ oder als Passagierin in einem Linienbus, der nichts anderes zu tun hat, als auf fester, unerschütterlicher Route permanent durch den Hochtaunus, in den es Caro verschlagen hat, im Kreis zu fahren. Das ist natürlich sinnbildlich gemeint: Auch bei ihrem dilettantischen Ausbruchsversuch entkommt Caro dem (Teufels-)Kreis ihres Lebens nicht … Der Bus erscheint zwar – nicht zuletzt durch seinen Fahrer – immer wieder einmal als Zufluchtsort, doch letztlich bietet er keinen Ausweg aus der Misere, ist er doch selbst gefangen im ewigen Einerlei seines festen Fahrplans.

Caros ballonseidene, bunte Outdoor-Jacke ist so offensichtlich oberscheußlich und spießig, dass auch sicher sie eine symbolische Bedeutung hat. Welche das genau ist, erschließt sich mir allerdings nicht. Vielleicht soll das unterstreichen, dass Caro keinen Geschmack (mehr) am Leben hat und dass ihr sowieso der Sinn fürs Schöne fehlt?!
Egal! Symbolträchtig, aber leichter auflösbar ist auch die Szene, in der Caros Rucksack versehentlich einen Abgrund hinunterfällt – und Caro muss einiges an Mühe aufwenden, um den Rucksack wieder zu bergen. Was ihr aber auch einen vorübergehenden Moment der Befriedigung und ein kurzes Aufblitzen von Selbstwirksamkeit beschwert.

In sich zusammengesunken und ziemlich allein im öffentlichen Nahverkehr:
Caro auf der Flucht vor sich selbst

Irgendwann kommt ihr Ehemann Markus hinterhergedackelt, mal zu Fuß, mal zu Lande, zu Wasser und zu Luft, ist man versucht zu sagen. Notfalls fährt er auch mal auf einem Traktor mit — amor vincit omnia, vielleicht sogar den Trübsinn und die eingefrorene Langeweile. — Ob die beiden wieder zueinander und einen Weg aus der Krise finden?! Auf eine seltsame Weise bleibt diese Frage fast irrelevant. Der Weg ist das Ziel dieser Reise.

Während ich dies schreibe, ist es schon wieder ein paar Tage her, dass ich den Film gesehen habe, sodass ich meinerseits etwas Mühe habe, mich daran zu erinnern, wie er genau ausgegangen ist. Ich meine, das Ende sei offen gewesen, was ein Stück weit erklärt, warum ich hier eine Erinnerungslücke habe: lose Enden in meinem Kopf. Macht aber irgendwie auch nichts, dann kann ich den Film vielleicht nochmal gucken, wenn der nächste Bus der Circle Line in endloser Wiederholungsschleife vorbeikommt.
Was ich aber noch weiß, ist, dass ich die vollen 90 min. durchgehalten habe – und nicht eingenickt bin oder am Händy herumgedaddelt habe, was sonst am Ende eines langen Arbeitstages schon mal passiert. Nö, der Film ist für mich „kein großes Kino“, aber es hat mich, anders als andere Rezensent*innen bzw. Kommentator*innen, nicht gelangweilt, Caro … will hier v.a. sagen: Silke Bodenbender … bei ihrem Ausstieg und ihrer Flucht vor dem Burnout zu begleiten, aller schwachen Momente – ihre und die des Films – zum Trotz.
Also: Nicht ausbrennen (lassen), einschalten, dranbleiben und nicht aussteigen, auch nicht aus dem ewigen Kreislauf des provinziellen Linienbusses ohne Endstation Sehnsucht, sondern eternally round and round. Manchmal hilft auch eben auch Drinbleiben und Hoffen, dass was passiert, was die stumpfsinnigen Routinen durchbricht, so viel sei verraten. Ein Zurück gibt es sowieso nicht, denn die Türen haben sich schon geschlossen. Der Bus fährt nonstop, ohne Umstieg oder Ausstieg in Fahrtrichtung geradeaus.

Check out. Fernsehfilm Deutschland 2021. Mit Silke Bodenbender (Caro), Trystan Pütter (Markus), Klara Höfels (Frau Rumi) und, nicht zu vergessen, Ernst Stötzner als stoischem Busfahrer Wilhelm.
Regie: Nana Neul; Erstausstrahlung am Mittwoch, den 21.09.22 um 20:30 Uhr in one bzw. Das Erste (Filmmittwoch im Ersten)