Schon viel zu lange lag „Und immer wieder aufbrechen“ von Sisonke Msimang auf meinem „Noch zu rezensieren“-Tisch (und manchmal auch: Stapel), dabei ist es auf den ersten Blick ein so schönes Buch … leuchtend rotes Cover, Buchklappen, ein orangerotes Vorsatzblatt … Sieht irgendwie „lecker“ aus, wenn ich das mal so unprofessionell sagen darf.
Aber klar … never judge a book by its cover, schon klar.

Das Buch ist, wie schon erwähnt, von Sisonke Msimang. Kennen Sie nicht?! Kannte ich auch nicht, aber es lohnt sich, sie kennen zu lernen. Sie ist, ich zitiere, „Heldin ihrer eigenen Geschichte“ und vereint verschiedene spannende Rollen in sich:
Revolutionärin, Frau, Mutter, Feministin, Antirassistin, Afrikanerin, Weltbürgerin, Partnerin, Schwester.
Donnerwetter!, die Frau hat bestimmt gut zu tun! Unwillkürlich mache ich diesen „Rollencheck“ auch mal für mich selbst. Naja, okay, so spannende Sachen wie „Revolutionärin“ kann ich nicht anführen, aber auf ein paar „Rollenbücher“ komme ich auch, wie vermutlich jede/r, der/die schon eine Weile hier auf der Erde unterwegs ist.

Aber – „unterwegs“ ist ein gutes Stichwort. Denn hinter all diesen (politischen) Rollen und Aktivitäten liegt auch ein „Untertext“. Und der interessiert mich – „rollenbedingt“ – eigentlich noch mehr. Denn in Sisonke Msimangs (Lebens-)Welt gibt es auch „Heimweh und Orientierungslosigkeit, aber auch das Gefühl von Zugehörigkeit und Zusammenhalt“ sowie „Hoffnung und Vertrauen“ und immer wieder auch „Enttäuschung“. Laut der Übersetzerin dieses Buches (aus dem Englischen), Tatjana Kruse, ist das besonders Faszinierende an Sisonke Msimang und ihrer „Lebensreise“, dass sie „von Kindheit an ihren eigenen Weg ging, damit auch aneckte, sich aber niemals beirren ließ“ und – siehe Titel des Buches – „immer wieder aufbrach“ zu neuen Ufern, Zielen, Orten, Menschen, …

Leider finde ich in der deutschsprachigen Ausgabe auf die Schnelle nicht die Angabe, wie der autobiografische Roman im Original hieß. Als Freundin der englischen Sprache hätte mich das sehr interessiert – überhaupt finde ich es immer spannend – auch bei Filmen –, wie sich ein Titel beim Übersetzt-Werden (das klingt genauso passiv, wie es vermutlich manchmal ist – Originalautor*in und Titel können sich ja selten „wehren“) verändert. Unwillkürlich überlege ich, wie ich denn „Und immer wieder aufbrechen“ wohl ins Englische übersetzen würde. “Setting off again and again“ vielleicht?! Auf jeden Fall würde ich hier die wunderschöne „Present Progressive-Verlaufsform“ wählen. Das passt zu der Unruhe des Immer-wieder-aufs-Neue-Aufbrechens (, das auch mich selbst zu einer „Flachwurzlerin“ gemacht hat).

Afrika … Afrika ist für mich fremd und faszinierend zugleich. Ich wundere mich, dass bei der Aufzählung der Rollen, die Msimang ausfüllt, das Wort „Afrikanerin“ dabei ist. Meines Wissens mögen es „die Afrikaner*innen“ genauso wenig wie „wir Europäer*innen“, wenn man den gesamten Kontinent mitsamt seiner Länder, Landschaften, Menschen, Religionen, Kulturen, … einfach mal so in einen riesengroßen Topf wirft, als gäbe es keine Unterschiede zwischen Nordafrika und Südafrika, Ost- und Westküste, muslimischen und nicht-muslimischen Ländern, Völkern, … na, Sie wissen schon, was ich meine. Oder wen/was sehen SIE vor sich, wenn Sie an „die Europäer“ denken?! Einen strohblonden, saunierenden Finnen?! Eine heißblütige, dunkelhaarige Frau aus Sevilla, die in einem bunten Kleid Flamenco tanzt?! Schon klar (geworden), oder?! Das Wort weckt „Klischees“ … und es ist kaum steuerbar, welche … (Msimang ist übrigens Südafrikanerin. Sie wurde in Swasiland geboren, wuchs in Sambia, Nairobi und Kanada auf. Jetzt habe ich bei der Aufzählung ihrer Stationen versehentlich „Namibia“ statt „Nairobi“ geschrieben … Das zeigt ja schon, wie sehr sich alles in meinem mitteleuropäischen Kopf vermischt.)

Egal, kommen wir zurück zum Inhalt. Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich dieses Buch bekommen – und gleich zwei Stellen herausgesucht, die mir – passend zum Thema dieses Blogs – gut gefallen, geht es doch um das „Nicht nur aufbrechen, sondern auch ankommen“, das alle Umhertreibenden und z.T. auch Getriebenen stets begleitet … und um die Suche nach den eigenen Wurzeln und der viel zitierten „Herkunft“:

[…] Ich trauere um die Großeltern und Tanten und Onkel, die ich nie kennenlernte. Ich weine, weil mich der Gedanke an alles, was verloren gegangen ist, überwältigt und weil ich dankbar bin, dass nicht alles verloren ist. Ich habe Angst, dass uns nie genug Zeit bleiben wird, um alles wiedergutzumachen, und dass wir – falls wir doch genug Zeit haben sollten – es verbocken könnten.
Und vielleicht weine ich auch, weil ich endlich zu Hause bin.
(Seite 165)

Die zweite Stelle, die ich vor einem Jahr zum Zitieren ausgesucht habe, gefällt mir heute, 12 Monate später, nicht mehr. Ich weiß auch gar nicht, warum ich die markiert hatte – sie scheint mir gar nicht (mehr) zum Thema „Aufbruch und Ankommen“ zu passen. Aber eine Seite weiter werde ich dann fündig. Die Protagonistin lebt mit ihrem Partner in Südafrika, doch …

[…] doch jemand läuft hinter uns. Wir hören Schritte, und wir drehen uns nicht einmal um. Er eilt an uns vorbei, und wir haben keine Angst. Wir bemerken beide die Gewöhnlichkeit dieses Augenblicks, den Fakt, dass wir nicht zusammenzucken, als sich ein Fremder im Dunkeln nähert.
Simon sagt, das ist ein Omen. Es ist Zeit, dass wir Südafrika verlassen. Ich stimme ihm zu.
(Seite 366)

Ich verstehe (nicht ganz). Aufbrechen und weggehen, wenn/weil die „Gewöhnlichkeit“ einsetzt und die Angst vor dem oder den Fremden nachgelassen hat oder gänzlich verschwunden ist?!
Nein, ganz so einfach ist das natürlich nicht! Das muss auch Sisonke erkennen, keine Seite später (Seite 367), denn die „Ambivalenz ist zurück“, stellt sie fest. Ihre „Liebesbeziehung mit Südafrika“, wie sie es nennt, ist für ihren Partner Simon „ermüdend“: „Er hatte nicht realisiert, wie fest mich das Land im Griff hatte, wie viele Tränen ich bei dem Gedanken vergoss, dort nicht zu leben, wie ich mich danach sehnte, wie ich zurückkehren wollte, auch wenn das überhaupt keinen Sinn ergab.“

Diese bewegende Stelle im Buch möchte ich jetzt auf gar keinen Fall zerreden bzw. mit meinem Gerede über dieses Buch übertönen. Vielleicht nur noch so viel: Ganz hinten im Buch habe ich jetzt doch noch den englischsprachigen Originaltitel gefunden: “Always Another Country“.
Danke, liebe Tatjana Kruse, dass Sie daraus „[Und] immer wieder aufbrechen“ gemacht haben.

Sisonke Msimang, Und immer wieder aufbrechen. Innsbruck, Wien: Haymon Verlag 2021 (dt. Übersetzung). ISBN: 978-7099-8140-5. [Die englische <sic> Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel „Always Another Country“ bei Jonathan Bell Publishers, Südafrika.
Ist das dann nicht eher die „südafrikanische“ Originalausgabe?! Aber das ist jetzt eine ganz andere Frage.]