Vielleicht hatten Sie das schon vermutet – und Sie haben Recht: Oh ja!, es *ist* weitergegangen!

Ich wechsele die Straßenseite und gehe hinüber zum Wagen des Fremden. Der kurze Moment, in dem ich mir überlege, ob ich einsteigen soll oder nicht, erscheint mir rückblickend länger als er in Wirklichkeit war. Meine Gedanken fahren Karussell … Mir ist vollkommen klar, dass es unmöglich ist, wenn ich da jetzt einsteige. Immerhin besitze ich die Geistesgegenwärtigkeit, mir die Werbeaufschrift auf der Fahrertür des schmutzigen blauen Lieferwagens anzusehen – und sogar einzuprägen.
Sie lautet: Matthias Haupt | Mobiler Veterinär. Kann ein freundlich dreinblickender „mobiler Veterinär“ in Wirklichkeit ein mobiler Vergewaltiger sein, der durch die Gegend fährt, um mittelalte Damen aufzugabeln, die sich zu spät auf den Weg zum Bahnhof gemacht haben? Das erscheint mir nicht besonders wahrscheinlich und in keiner Weise glaubwürdig.
Mittlerweile hat er die Beifahrertür geöffnet – und ich steige ein und schwinge mich auf den Beifahrersitz. Den Gurt schnalle ich nicht an – das erscheint mir geradezu lächerlich angesichts der realen Gefahr, in die ich mich gerade begeben habe. Ich trampe! Und das bedeutet, dass ich aus Bequemlichkeit zu einem wildfremden Menschen ins Auto gestiegen bin.

Der Weg zum Bahnhof ist, wenn man ihn fährt, ein Katzensprung und reicht gerade für eine belanglose Konversation über die Aufgaben eines mobilen Tierarztes – und die schlechte Infrastruktur auf dem Land.

An der Kreuzung, an der es links in die Zufahrtsstraße zum Bahnhof geht, halte ich kurz den Atem an. Was passiert – und was mache ich, wenn er jetzt nicht den Blinker setzt, sondern geradeaus weiterfährt?! Er hat behauptet, hier in der Gegend aufgewachsen zu sein – und kennt somit den Weg zum Bahnhof ganz genau. Der kurze Augenblick des Zweifelns und Luftanhalten dauert nicht lange. Ich höre das gleichmäßige Klicken des Blinkers und atme innerlich auf.

An der Auffahrt zum Bahnhofsgleis gibt es einen kurzen Parkstreifen, an dem die Wagen halten, die S-Bahn-Fahrende zum Bahnhof bringen oder dort abholen. Genau dort hält er an.

Es hat keinen Krimi gegeben, sondern einfach nur eine nette Begegnung mit einem freundlichen Mann, der einer vollkommen Unbekannten einen Gefallen getan hat, für den er keine Gegenleistung erwartet. Wie schön ist das denn?!?

… wenn Ihnen das als ausgebliebene Pointe noch nicht reicht, dann lesen Sie auch den dritten Teil der „Freundlichkeit dieses Fremden“.

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