Allein der Buchtitel hatte mich neugierig gemacht: „Einstieg in Fahrtrichtung“ …

Nein, nicht „… in Fahrtrichtung rechts“ oder „… in Fahrtrichtung links“ – einfach nur „in Fahrtrichtung“.
Die Neugier auf den Einstieg wird noch größer, als ich das Buch in den Händen halte. Es hat nicht nur einen ansprechenden Titel, sondern auch, obwohl es „nur“ ein Taschenbuch ist, zwei farbige Klappen und ein ungewöhnliches Hochkantformat.

,Hm … geschmäcklerisch‘, denke ich im ersten Moment, aber dann erkenne ich den Sinn dieses aus dem Rahmen fallenden Formats. Man kann das Buch aufgeschlagen in einer Hand halten – und in der anderen bleibt noch Platz fürs Gepäck oder für den Kaffeebecher … ideal für Reisende, dieses, wie ich es spontan taufe, „Einhandbuch“. Und dann noch dieses freundlich-warme Orange des Covers …
Das Innenleben erfreut mit einem hübschen, individuellen Layout; unten auf jeder Seite fährt, von oben betrachtet, ein ICE als Daumenkino übers Gleis, wie nett.

So viel also zum ersten Eindruck dieses „Einhandbuchs“, kommen wir zum Inhalt.
Autorin Sia Bronikowski ist Vielreisende – und ihre Fahrten nutzt sie dazu, um mit ihren Mitreisenden ins Gespräch zu kommen. So entlockt sie ihnen immer wieder kleine und große Geschichten aus dem (Pendler*innen-)Leben – das gefällt mir bzw. *muss* mir einfach gefallen als übers Pendeln und Unterwegs-Sein Bloggende.

Die insgesamt 36 „Begegnungen im Zug“ sind angenehm kurz und reichen von einem „Gleiswechsel“ über eine „Vollbremsung“ und einen „Kochkurs mit Dietmar“ bis hin zu „Lucy in the Sky“ (vermutlich „with Diamonds“) und „Was einem Freude macht“. Die letzte Begegnung trägt den Titel „Römische Ballade“ – und diese lese ich zuerst, sozusagen, um einen abschließende Eindruck von dieser „Reiselektüre“ zu bekommen. Obwohl auch die anderen Titel der Geschichten „Lust auf mehr“ machen. Die Geschichten sind, genau wie ihre Erzähler/innen, mal mehr, mal weniger aufregend, mal spektakulär und mal auch nicht. Wie es halt so ist, wenn man auf herumreisende Menschen trifft, die auf ihre eigene Art von sich erzählen.

Halt! Fast hätte ich’s vergessen zu erwähnen: Ganz am Ende gibt es noch 14 leere Seiten für eigene Zuggeschichten – und eine „Nachbemerkung“ der Autorin, warum sie „Zuggeschichten“ schreibt:

Ich fahre oft und gern mit der Bahn. Spannender als jedes Buch, das ich auf eine Zugreise mitnehme, sind die Geschichten, die meine Mitreisenden mit sich tragen. Wir haben uns daran gewöhnt, immer nur auf der obersten Tonspur zu kommunizieren, […] Aber das wirklich Interessante liegt darunter verborgen, und das wird nur offenbar, wenn wir unserem Gegenüber zuhören und neugierig sind auf die Erfahrungen anderer. Und dann passiert das Wunder. Jeder ist bereit, einmal etwas Besonderes zu erzählen, sich zu öffnen.

Da hat sie wohl recht. Zugfahren ist ein bisschen wie Aufzugfahren. Man ist für eine gewisse Dauer fremden Menschen auf kurze Distanz ausgeliefert oder zumindest ausgesetzt. Unfreiwillig nimmt man Teil an ihrem Leben. Hört, was sie am Telefon sagen. Riecht und sieht, was sie essen. Liest, was sie lesen oder schreiben. Sieht, was sie in ihrer Tasche haben. Bekommt mit, woher sie kommen und wohin sie fahren.
Das kann angenehm, unangenehm oder neutral sein. Sia Bronikowski teilt mit uns diese spannenden, mal kleinen und mal großen, bereichernden Begegnungen. Und wenn Ihr Gegenüber oder Nebenan sich Ihnen nicht öffnet oder Sie vielleicht sogar froh darüber sind, dass Sie schweigend einfach nur dasitzen können, während draußen Städte, Bahnhöfe und Landschaften an Ihnen vorbeirauschen, dann lesen Sie eine Episode in diesem Buch!


(Sia Bronikowski, Einstieg in Fahrtrichtung. Begegnungen im Zug. Zürich: Unionsverlag 2013, 191 Seiten plus Notizseiten für eigene Zuggeschichten — oder die anderer Mitreisender)

 

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