Oh my God! Die wollen mich fertigmachen! Die haben das nur wegen mir gemacht … um mir den Tag zu verderben …
Nein, natürlich nicht! Weder nur wegen mir, noch um mir den Tag zu versauen. Und doch tun sie es.
Jetzt aber mal – bei und trotz aller Aufregung – ganz langsam! Was iss’n los?! Und: Wenn ja, wie schlimm ist es?!
Also, der Reihe nach! „Die“, das sind die Programm-Macher von 3sat. Es ist Samstag, der 1. Mai. Normalerweise ein Feiertag. Heute aber nur ein schnöder Samstag, an dem (nicht nur Corona-bedingt) die Läden geschlossen haben. Das Wetter ist mittelmäßig. Morgen soll es noch mittelmäßiger werden. *Wenn* man also an diesem Wochenende rausgehen möchte, sollte man das heute tun … So – und das ist genau der Punkt!
Was machen diese sadistischen Leute von 3sat?! Sie richten einen „Thementag Zuggeschichten“ ein!!! – Und wenn sie „Tag“ sagen, dann *meinen* sie auch TAG. Das ist nämlich heute das Ganztagsmotto!
Wie, bitte, soll ich, „Die leibhaftige Passagierin“, einen „Thementag Zuggeschichten“ ignorieren, geschweige denn: unbeschadet überstehen?!? – Ich kann doch nicht den lieben, langen Tag – länger als eine durchschnittliche Zugreise dauert – vor der Glotze hängen. Klar, ich könnte die Beiträge, die mich *besonders* interessieren, aufnehmen. Aber so viel Speicherplatz habe ich gar nicht.
Bleibt noch die Mediathek. Okay, das ginge! Aber wann, um alles in der Welt, soll ich denn all diese Reportagen und (Spiel-)Filme *jemals* gucken?! Und irgendwann ist ja auch deren Verweildauer in der Mediathek abgelaufen … So lange kann ich also nicht warten.
Ich gerate in Panik. Schon seit 06:10 Uhr sind die Züge unterwegs. „Auf schmalen Spuren – Eine Entdeckungsreise entlang der Waldviertler Bahn“. Puh! Glück gehabt. Habe *keine* Ahnung, wo das „Waldviertel“ sein soll – insofern interessiert mich auch dieser Beitrag nicht ganz so brennend, und wenn die Programmverantwortlichen ihn an einem Feiertag auf zehn nach sechs anberaumen, wird es vermutlich nicht der spektakulärste von allen sein …
Den Zug habe ich also schon mal verpasst. Dasselbe gilt für den anschließenden, der durch Brasilien fährt, und zwar „mit Volldampf“, laut Programmzeitschrift. Tja, als der um 06:35 Uhr losfuhr, lag ich noch im Bett.
Schaffe ich den Zug um 07:20 Uhr?! „Zug um Zug – Eine Reportagereihe“ … Verpasst! Zwar schon wach, aber noch nicht aufgestanden.
Nächste „Gelegenzeit“ ((das Wort ist von mir, also bitte NICHT abkupfern!)) ist um Viertel vor neun. Das ist doch eine zivile Zeit. „Im Luxuszug von Bangkok nach Laos“, eine Doku von 2011.
Och nöööö, lieber in Ruhe frühstücken, das kann man ja sonst nicht alle Tage.
09:30 Uhr – da geht der nächste Zug aus Gleis 3sat. „Mit dem Zug von …“, so heißt es lapidar und rudimentär in der Programmzeitschrift. Sonst nichts. Ich steige doch nicht in einen Zug, von dem ich nicht weiß, woher er kommt, geschweige denn, wohin er fährt …! Bewusst bleibe ich aufm Gleis steh’n und warte auf bessere Anschlüsse.
Um 10:20 Uhr kann ich ja immer noch gepflegt zusteigen: „Eisenbahnromantik“. Das klingt irgendwie nach alten Herren mit wohnzimmerweitläufigen Ganzjahres-Modelleisenbahnen. Nicht *mein* ICE!
Inzwischen ist es schon fünf vor zwölf, auch allmählich für mich! Der erste Teil von „Auf den (auch historischen) Schienen des Doppeladlers“ beginnt. Nicht nur „Doppeladler“, sondern auch: Doppeldokureihe aus Österreich (2014), die vom „Aufbruch ins Eisenbahnzeitalter“ (Teil 1) zur „Eisenbahn im Ersten Weltkrieg“ (Teil 2) führt. — „Erster Weltkrieg“?! Das ist mir noch ein bisschen zu früh bzw. echt zu lange her für einen noch jungen Maifeiertag.
Um 20 vor zwei schließen sich die Folgen 3-5 an: „Der Weg nach Westen“ / „Von den Alpen an die Adria“ / Von der Puszta an die Adria“. DAS ist meine Durchsage! Da war ich überall schon – da will ich mal mitfahren.
Danach geht die Reise weiter – es ist ja gerade mal Nachmittag! Um 16:15 Uhr läuft der legendäre „Orientexpress“ (mit oder ohne Mord) aus, betrieben von „Terra X“, eine neue Doku von 2020.
Anschließend nimmt eine recht lange Bahnfahrt ihren Lauf; es ist der „Gotthard“ mitsamt Tunnel, der um 17:15 Uhr vom Stapel läuft. Fein!, endlich mal ein Spielfilm. Nur Dokus und Reportagen, das ist ja dann irgendwie auch nichts! Die „Gotthard“-Tour von 2016, in zwei Teilen, dauert bis 20:15 Uhr … geschlagene drei Stunden …!
Achtung! Uhrenvergleich! Wir wechseln nun vom Tages- in den Abend- bzw. Nachtfahrplan. Da hört man doch unwillkürlich im Hintergrund die Wechseltafeln der Gleisanzeigen hektisch klappern und rattern.
Tatsächlich haben wir aber den Großteil der Tagesreise mit dem 3sat-Zug schon hinter uns, denn ab jetzt lässt die Bahn bzw. 3sat die Züge einfach 2x fahren: Die Hauptreisezeit gehört eindeutig den „Traumhaften Bahnstrecken der Schweiz“, einer Dokureihe in jeweils zwei Doppelfolgen … Dass das angesichts des Höhenprofils unseres Schweizer Nachbarlands streckenweise spektakulär ist, kann man sich schon gut vorstellen, aber bis 23:35 Uhr kann und will da sicherlich kein Mensch ohne Reiseunterbrechung drin sitzen bleiben …
Aber das ist ja sowieso das Schöne: Man kann immer wieder zwischendurch einsteigen, ein Stück mitreisen – und dann wieder aus- und umsteigen, wenn man nicht mehr kann oder will. Ein paar Kilometer mit dem „Gotthard-Panorama-Express“ (Folge 1+2; CH 2020) und später dann mit dem „Glacier Express“ („glacier“ wegen des ewigen Eises, das aber vermutlich auch nicht mehr ewig währt; Folge 3+4, ebenfalls CH 2020) möchte ich mir auf jeden Fall gönnen. Wahrscheinlich nicke ich dann, wie immer, wenn ich lange Bahn fahre, auf meinem Polstersitz ein, aber selbst das wäre dann wie im richtigen Leben.
Jetzt kommt bzw. fährt nicht mehr viel. Der Nachtzug geht vor Mitternacht, um 23:35 Uhr, und zwar erfahren wir die „USA in einem Zug“, wahlweise mit der Betonung auf „einem“ oder auf „Zug“, was nicht ganz dasselbe wäre. Die Streckenführung fürs Kursbuch: von New York zum Michigansee / Vom Wilden Westen nach Hollywood, auch keine schlechte Route, wenn man sonst nichts zu tun hat und unter Schlaflosigkeit leidet. Moment mal!, wo bleibt denn eigentlich der Klassiker, der „Nachtzug nach Lissabon“?!
Um 01:05 Uhr am folgenden Tag sind wir in Hollywood angekommen. Von dort kommen wir erstmal nicht wieder weg, es sei denn, wir fahren die „Traumhaften Bahnstrecken der Schweiz“ wieder zurück nach Hause, denn die werden in der Nacht zum Sonntag nochmal angeboten. Um 04:25 Uhr wäre man dann da.
Es sei denn, man entscheidet sich, wie ich, dafür, die „USA in einem Zug“, also genau gesagt in einem zweiten Zuge, nochmals zu bereisen, wenn auch leider ein weiteres Mal in derselben Richtung – die Doku läuft vermutlich nicht rückwärts, was ich eine durchaus reizvolle Vorstellung gefunden hätte.
Aber egal, die erste Fahrt war stellenweise so atemberaubend, dass man die ruhig noch ein zweites Mal antreten kann … — Einsteigen und Türen schließen! – heute werde ich das Haus und den gepolsterten, rückklappbaren Fernsehsessel nur verlassen, wenn ich unbedingt muss (oder einer der Züge ausfällt).