Als ich Michael Krügers „Gedichte aus der Quarantäne“ (spät im Jahr und im Leben) entdecke, stehen 20 davon schon bei der „Süddeutschen“ auf der Homepage. Auf Michael Krüger gestoßen bin ich aber gar nicht dadurch, sondern durch einen Artikel über ein Bildungsthema bzw.:
Genau genommen hat er darin die fehlende Aufmerksamkeit für Bildungsthemen in Politik und Gesellschaft nicht nur beklagt, sondern auch be- und ergründet. So bin ich beim Googlen auf seine Gedichte gekommen.
Dass er *der* Michael Krüger ist, der auch Hanser-Verleger war, habe ich dann noch ein wenig später realisiert.

Kaum habe ich ein paar der „Gedichte aus der Quarantäne“ gelesen, frage ich mich, ob ich sie – wie immer unter dem Blog-Fokus des „Unterwegs-Seins“ und des „Heimat-Suchens und vielleicht auch –Findens“ – überhaupt rezensieren kann, ohne den aktuellen biografischen Hintergrund ihres Verfassers zu erwähnen.
Um es kurz zu machen: Ich erwähne ihn, finde aber, dass die Texte – ich würde sie gar nicht unbedingt „Gedichte“ nennen, sondern eher vielleicht „literarische Kurzbetrachtungen“ – auch „funktionieren“ (müssen), wenn man den biografischen Entstehungskontext nicht kennt.

Ich finde, das tun sie. Aber der Zusammenhang und die Umstände ihrer Entstehung geben ihnen eine besondere Qualität und Stimmung, die sie noch interessanter und tiefgründiger macht.
Michael Krüger hat Krebs. Leukämie. Er hat sich aus Schutz vor Bakterien und Viren gemeinsam mit seiner Frau in eine Holzklause an einem oberbayerischen See zurückgezogen; von dort aus schreibt er seine regelmäßigen Beiträge.

Die Überschriften der Texte machen es mir leicht, einen zum Thema dieses Blogs passenden zu finden. Es bieten sich an:
* Folge 5: „Alle Wege brechen ab“
* Folge 9: „Die Wanderung der Ameisen“ und
* Folge 12: „zur falschen Zeit am falschen Ort“ ((bewusst vorne kleingeschrieben?!)).

Die „Wanderung der Ameisen“ (Folge 9) erweist sich bei näherem Hinsehen als thematisch nicht so geeignet, weil es wirklich, zumindest vordergründig, um Ameisen geht und es sich nicht, wie ich zunächst vermutet hatte, um eine Parabel auf das rastlose Unterwegssein der Menschen handelt.

Den Titel „Alle Wege brechen ab“ (Folge 5) finde ich so verheißungsvoll und Fantasie-anregend, dass ich ihn gern unkommentiert so stehenlassen und nicht auflösen möchte.

Diese Löwenzähne trotzen dem Ort und der Zeit, an/in der sie sich befinden …

Begeben und bewegen wir uns also „zur falschen Zeit an den falschen Ort“ (Folge 12). – Was könnte falscher sein, als nicht nur am falschen Ort zu sein, sondern dies auch noch zur „Unzeit“?!
Ich stelle ein paar mehr oder weniger sinnvolle Betrachtungen an: Ist es schlimmer, zur richtigen Zeit am falschen Ort zu sein? Wie könnte eine Situation aussehen, bei der dies so wäre? Oder ist es schlimmer, zur falschen Zeit am richtigen Ort zu sein?
Letztlich finde ich das als „Versuchsanordnung“ für meine Gedanken spannender. Ich könnte in meinem Leben nach langer Suche endlich den (für mich) „richtigen“ Ort gefunden haben, aber … wenn ich ihn nicht auch zur richtigen Zeit entdecke, nützt mir diese Entdeckung leider nur wenig, im Gegenteil, der Gedanke daran macht mich fast wütend.
Zu der umgekehrten Situation wollen mir nur banale Dinge einfallen: Ja, klar, ich könnte zu einer „passenden“ („richtigen“) Zeit, etwa in meinem Leben/kreis/lauf, am falschen Ort sein, aber … solange die Zeit passt, kann ich den Ort ja möglicherweise einfach wechseln – was wiederum bei und mit der Zeit nicht so einfach geht.

Ja, ich weiß, ich habe nun vergleichsweise wenig über die „Falsche Zeit am falschen Ort“ gesagt, aber: Schauen Sie doch einfach selbst nach, wie Michael Krüger das sieht und beschreibt.
Ich spekuliere: Den Ort, an dem und die Quarantäne, in der er sich gerade befindet, hat er immerhin selbst gewählt, wenn auch getrieben durch die besonderen Umstände, mit denen er gerade konfrontiert ist.
Bleibt also die „Unzeit“ bzw. „falsche Zeit“.
Aber vielleicht meint er selbst das ja alles eh ganz anders. Dies schon mal vorweg:

Man muss zur falschen Zeit am falschen Ort sein, sage ich den Löwenzähnen,
die wie kaltblütige Virtuosen ihr kurzes Leben feiern,
strotzend vor Kraft trotz aller Trockenheit.

https://sz-magazin.sueddeutsche.de/gedichte-aus-der-quarantaene/michael-krueger-gedichte-corona-88910