Zunächst mal vorweg: Ich schreibe keine Gefälligkeitsgutachten. Jedes Werk, das hier vorgestellt, erwähnt und rezensiert wird, muss zwingend einen eindeutigen Bezug zum „Lebensthema“ dieses Blogs haben.
Es muss also ums Reisen, Unterwegs-Sein, Heimat-Suchen und -Finden gehen. Im engeren, zumindest aber im weitesten Sinne. Soweit der fast schon „Disclaimer“.

Bei Mark Spörrle mache ich da in gewisser Weise eine Ausnahme. Eines seiner Bücher war nämlich eines der ersten, die ich überhaupt jemals hier auf meinem Blog rezensiert habe.
Bei „Senk ju vor [for] träwelling“ (https://pendeln.mobi/2021/04/10/senk-ju-for-tschusing-this-book-today/) lag der klare Bezug zum Blogthema auf Schienen, bei seinem Buch übers „Homeoffice“ zu Corona-Zeiten (https://pendeln.mobi/2021/07/02/unten-ohne-oben-mit/) musste ich die (Zug-)Verbindung schon etwas weiter herholen, aber … in diesem Zusammenhang veredelte Mark Spörrle mal nebenbei meine Rezensionen mit einem Begriff, der so in Richtung „wunderbare assoziative Rezensionen“ ging.

Okay, rückblickend betrachtet muss ich ehrlich gesagt überlegen, ob er auch wirklich „wunderbar“ gesagt hat … vielleicht kommt dieser wunderbare Zusatz eigentlich von mir selbst, und der Wunsch war der Vater des Gedankens, aber … sei’s drum! Gesagt ist gesagt.
„Assoziative Rezensionen“, das klingt tatsächlich genau so, wie ich es und sie meine: wie eine eigene kleine literarische Gattung, denn meine Rezis sollen keineswegs nur die literarischen Ergüsse anderer beleuchten, diese sind vielmehr der Ausgangspunkt für eigenes Schreiben und Reflektieren – sie liegen also, so zumindest mal mein Plan und meine Intention, irgendwo zwischen “review“, eigenem Essay und manchmal auch Short Story.

Deshalb haben die Bücher von Mark Spörrle bei mir so eine Art „Stein im Brett“.
Sein neuestes, der „Maulwurf“, klingt laut Klappentext erstmal nicht so, als könne es nahtlos an meinem Blog andocken. Aber wenn man es nur genug will, dann findet sich schon der “missing link“. Jedenfalls scheint es sich um einen echten, also tierischen, Maulwurf zu handeln … und nicht um einen Verräter in einem Krimi oder Spionagethriller. Worum geht’s also … und wo liegt die Verbindung zur Sinnsuche des Blogs?!

Die autobiografisch angehauchte Familie Paulmann, bestehend aus dem ordnungswütigen Nachhaltigkeitsbeauftragten Sascha, der Psychologin Anna (in Umorientierung begriffen) und der nervigen Teenagertochter Marie hat ihr Großstadtleben in Hamburg hinter sich gelassen und ist in ein Haus auf dem Dorf gezogen, selbstgewählte Idylle inklusive.
Ein Neustart in einem neuen, fremden und unwirtlichen Territorium, dessen Bewohner und Besitzer man nicht kennt. Okay! Das ist Blogbezug genug.

Der Roman spielt also auf dem platten Land. Strukturiert wird er durch die wechselnde Erzählperspektive, die zwischen Anna und Sascha hin- und hergereicht wird. Nein, das stimmt ja so gar nicht, merke ich gerade, die Erzählperspektive bleibt eigentlich immer dieselbe, nur steht abwechselnd mal Anna, mal Sascha im Fokus.

Es ist der Titelheld, der „Maulwurf“, der mit seinem typischen und natürlichen Verhalten (er gräbt, buddelt und lässt Erdhaufen entstehen) dafür sorgt, dass sich die drei Familienmitglieder immer wieder aufs Neue hinterfragen müssen und sich mit ihren persönlichen Unzulänglichkeiten konfrontiert sehen.
Den titelgebenden „Maulwurf“ bzw. einen Maulwurf lernen wir gleich auf der ersten Seite im Prolog kennen. Noch ahnen wir nicht, welche Bedeutung er für die Kleinfamilie haben wird. Zumal dieser Maulwurf bereits mausetot ist. Und es ist nicht irgendein Maulwurf, denn einen (androgynen) Namen hat er auch: Blacky.

Die Geschichte (in der, bevor ich das vergesse zu sagen, auch ein menschlicher Toter mit einer zweifelhaften Beziehung zu Maulwürfen eine gewisse Rolle spielt) eines Neuanfangs auf dem Land beginnt einige Wochen zuvor mit den ersten Tagen der Familie im Umzugschaos des neuen Hauses und in der neuen Umgebung und entfaltet sich dramenhaft in fünf Akten … bzw. Teilen. Wenn das mal kein Zufall ist!
Aber bleiben wir erstmal beim Maulwurf, der hier alles zusammenhält, damit es nicht auseinanderfliegt.

Anna [im Garten des neuen Hauses aufm Land]

Er [der Erdhaufen] kam von unten. Aus der Erde. Aufgeworfen von einem Tier.
Einem Maulwurf! […]
„Wir haben einen Maulwurf! Habe ich es dir nicht gleich gesagt?! Das hier ist ein richtiges Paradies! Denn wo es Maulwürfe gibt, ist die Natur noch in Ordnung.“ (Seite 57/58)

Annas Mann Sascha tut sich da schon etwas schwerer mit der Ein-Ordnung, was vielleicht auch an seinem Ordnungsfanatismus liegt.

Sascha

Okay. Ein Maulwurf.
Okay. Das war doch prima.
Wie schön.
Na gut.
Anna hatte natürlich recht, das Tier war ein Umweltindikator erster Güte. […] (Seite 59)

Noch ist der emsige Umweltindikator erster Güte namenlos, doch mit wachsender (und durchaus ambivalenter) Beziehung, die die Familie zu ihm aufbaut, ist er nur noch eine Frage der Zeit, bis er einen bekommt. Aber nicht irgendeinen Namen, denn angesichts der Bedeutung des Gartengräbers (m/w/d) soll es ein perfekter Name sein. Laut Teenietochter Marie soll der Name mal mindestens all das ausdrücken: „[…] wie toll, megasüß, supernützlich, kuschelig und absolut schützenswert Maulwürfe selbst dann wären, wenn sie nicht schon längst streng unter Naturschutz stünden!“ (Seite 104/105)

Fortan heißt das „Ding“ also „Blacky“, und spätestens an diesem Tag hat es seinen Status von einer, rein rechtlich betrachtet, „Sache“ zu einem „Wesen“ mit menschlichen Zügen verändert und ist zu einer Art Familienmitglied avanciert. Ein Familienmitglied, das zudem „viral geht“ und Follower und Likes generiert. An dieser Stelle sage ich nur „Männer und Maulwürfe“, jetzt auch als Podcast.
So, machen wir hier einen Schnitt!

Inzwischen habe ich, glaube ich, genug feuchte Erde aufgewühlt, während auch im weiteren Verlauf der Handlung die Anzahl an braunen Maulwurfshügeln im Garten stetig wächst.

Damit müssen sich aber vor allem mal Sascha, Anna und Marie auseinandersetzen. Und ich für meinen Teil überlasse es an dieser kritischen Stelle ganz Ihnen, ob auch Sie tiefer graben und herausfinden möchten, wie die Geschichte von Sascha, Anna und Marie … und, Verzeihung!, Blacky organisch weitergeht und welche Hügel hier noch aufgeschichtet werden, über die man natürlich trefflich stolpern kann.
Wird die Familie in jeden aufgeworfenen Maulwurfshügel hineintappen und am Ende wieder die Flucht zurück in die flächenversiegelte Großstadt ergreifen? – Wird die Ehe von Sascha und Anna die Herausforderungen und Auseinandersetzungen meistern? – Wird einer von beiden schließlich zum Spaten greifen und der aufgewühlten Geschichte ein blutrüstiges Ende setzen?
… und welche Strafe droht eigentlich, wenn man der Tötung im Affekt eines unter Naturschutz stehenden Wesens überführt wird?

Das sind nur wenige von vielen Fragen, die ich bisher auch noch nicht gelöst habe, aber als selbst auch unschlüssige Wandererin zwischen Stadtkind und Landei noch zu lösen gedenke.
Aus eigener Erfahrung weiß ich: Ein Maulwurf kommt selten allein, aber manchmal bleibt er auch von selbst wieder weg. Also nur Geduld!

Mark Spörrle, Der Maulwurf. München: Wilhelm Heyne Verlag 2025. 349 Seiten. ISBN: 978-3-453-42983-3. EUR 17,00