Ich bin mal wieder Zug gefahren.
Um der Frage zuvorzukommen: Nein, ich erspare Ihnen und mir hier Bahnbashing jedweder Art. Dabei gäbe es an dem Tag, von dem ich heute erzähle, jede Menge zu bashen. Machen wir es kurz: Der ICE, mit dem ich eigentlich hatte fahren wollen, vermeldet so viel Verspätung, dass ich den Anschlusszug „vsl. nicht erreichen“ werde.
Ich raffe also kurzentschlossen mein Zeug zusammen und verlasse in letzter Minute den am Bahnhof stehenden ICE (der übrigens schon eine Alternative zu dem war, den ich gebucht hatte).
Die sog. „Aktuelle Alternative“ soll lt. „DB-Navi“ praktischerweise just auf dem Gleis gegenüber warten. — Tut sie auch, ist aber so kurz, dass ich sie erst gar nicht sehe. Es handelt sich um eine Art Youngtimer-IC, der privat betrieben wird von einer Firma, die quietschegrün als Signal-Farbe gewählt hat. Man will sich ja abheben von der rot leuchtenden DB.


Der ICE gegenüber fährt ab. Kaum hat er dies getan, vermeldet mir der perfide „DB Navigator“, dass die Verspätung nicht mehr bestehe und der Umstieg nun doch klappe … Zu spät. Ich sehe nur noch die (roten) Rücklichter.

Leuchtend rot prangt und thront
das DB-LOGO über allen anderen „Kleinzügen“.

Der quietschegrüne Ersatzzug verlässt tatsächlich wenige Minuten später seinen Möglichkeiten entsprechend langsam, aber auf die Minute pünktlich den Bahnhof. Er wird lt. Vorhersage ca. eine Stunde länger brauchen als der ICE bzw. die ICE-Verbindung, die ich soeben eilfertig und vor allem voreilig habe davonfahren lassen. Sei’s drum. Dafür muss ich mit der „Greenline“ nicht umsteigen und: Leer ist es auch. Wenn auch etwas enger, älter und (noch) weniger sauber als gemeinhin im ICE.

Steckdosen? Jibbet nich. Bordrestaurant? Jibbet ooch nich. Beinfreiheit? Fehlanzeige. Aber: Es gibt tatsächlich noch Fenster, die man mit viel Kraft herunterziehen kann oder immerhin theoretisch könnte. Mache ich aber nicht, dafür ist es zu kalt heute.
Toiletten? Jibbet. Aber nicht viele, denn die in Wagen 1 und Wagen 2 sind schon mal defekt. Eine weitere in Wagen 4 ist … nennen wir es bei dem Namen, den ein „dunkel pigmentierter“, sehr freundlicher Mitreisender gewählt hat: verkackt und verstopft noch dazu. Genau genommen lautete seine Wortwahl: „Kaka, Kaka!“, als er mich vor dem Eintritt warnte. Die Spülung funktioniert nicht, was neben einer bis zur Toilettenbrille reichenden Menge von Klopapier der wesentliche Grund für die Verstopfung sein dürfte. Aber man sollte ja nie Ursache und Wirkung verwechseln.
Ich finde als „Aktuelle Alternative“ eine großräumige Behindertentoilette, in der mehr oder weniger alles läuft und funktioniert. So weit, so … Basics erfüllt.

Was es noch gibt, ist die Durchsage, dass DB-Tickets hier im Quietschegrünen nicht gelten … Ach was?! Warum empfiehlt die Bahn dann den Quietschegrünen als Alternative, wenn sie selbst mal wieder nicht fährt, wann und wie sie soll?!

Frechheit. Immerhin ist die Zugbegleiterin, die natürlich quietschegrün gewandet ist, ungewöhnlich freundlich. Was an ihr noch ungewöhnlich ist, das ist die Tatsache, dass sie einen etwa 5-jährigen Jungen dabei hat, der ebenfalls etwas Grünes trägt. Dem Wortwechsel nach zu schließen, handelt es sich um ihren Sohn. Okay. Vermutlich wird dessen Kita gerade bestreikt und seine Oma ist auf einer Demo zur Stärkung der Rechte von Diversen in nordbayerischen Kleinstädten.

Egal, so lange mich Mutter und Sohn in Ruhe lassen. Und das tun sie.
Ein schlecht gelaunter Herr verlangt nach Wasser. Die grün gewandete Mutter weist darauf hin, dass es hier an Bord nur „Notfallwasser“ gebe.
Ob es sich denn um einen Notfall handele, frage ich den Fragenden. In diesem Falle sei ich bereit, ihm meine noch ungeöffnete Cola Light zu überlassen … nein: zu schenken! Das ist ihm dann doch too much. Er winkt resigniert ab.

Nach vergleichsweise (in Bezug auf einen pünktlichen ICE, aber so etwas gibt es ja kaum noch) langer und langsamer Fahrt erreiche ich (fast) meinen Zielbahnhof. Erst jetzt fällt mir auf, dass dieser Zug noch solche üblen Türen hat, bei denen man nach dem Halt des Zuges eine gefühlt endlos lange Weile warten muss, bis es pfeift und man den schwergängigen Hebel umlegen und sich mit brachialer Gewalt gegen dieses Fußteil stemmen muss, um die Tür öffnen zu können, bevor der Zug den Bahnhof schon wieder verlassen hat.

Zum Glück kommt in diesem Moment der Zugchef vorbei, dessen Stimme mir zuvor über Lautsprecher als besonders angenehm aufgefallen ist und dessen Sprechweise, bis auf die Tatsache, dass er seine Passagiere duzt, mir eher kultiviert vorkam. Ihm hätte ich eine gelungene englischsprachige Durchsage jederzeit zugetraut. Aber dazu kam es leider nicht in diesem doch eher local train.
Der Zugchef hat jede Menge Piercings und sonstiges Metall, so z.B. einen fetten Ring an jedem Finger, am Körper und ist selbstverständlich großflächig tätowiert. Und er ist wirklich reizend. Von mir auf meine traumatischen Erfahrungen mit diesen Last-Century-Hydraulik-Doors angesprochen bleibt er an meiner Seite, spricht erklärend und beruhigend auf mich ein und übernimmt das Türöffnen höchstpersönlich für mich.

Aber bevor es soweit ist, erfahre ich noch, dass er nun nur noch zwei Stationen zu fahren und heute Geburtstag habe. Ich gratuliere ihm recht herzlich zu diesem gelungenen Tag.
Die Grüngewandete sei seine Frau — und der Junge tatsächlich seiner. Er habe noch zwei große Kinder, der hier Mitgeführte sei … sein „Nachzügler“.

Ich steige aus dem Zug mit einem Lächeln auf den Lippen. Und aufgeflogen als Black Rider bin ich auch nicht.
Ich hatte Ihnen doch eingangs versprochen, dass ich kein Bahnbashing betreiben würde. Gerade nochmal die Kurve gekriegt, wenn auch mit entgleisten Gesichtszügen … vom Lächeln.