Allgemeines & BesonderesHeimweh und Fernwärme

 

Der Liebesstau (Teil 1/3)

Mittwochabend, 17 Uhr. Schon beim Auffahren auf die Autobahn weiß ich, dass ich mich falsch entschieden habe. Ich hätte mit dem Zug nach Hause fahren sollen, denn schon auf dem „Beschleuni­gungsstreifen“, der heute mal wieder seinen Namen nicht verdient, stauen sich die auffahrenden Fahrzeuge in Doppelreihe. Klar, morgen ist Feiertag!, da fahren alle, die fahren müssen.

Genau deshalb wollte ich auch nicht mit der Bahn fahren. Ich hasse volle Züge noch mehr als volle Autobahnen.

Nützt ja nichts! Ich habe gute Musik dabei und freue mich auf den Männerabend an meinem Wohnort. 20 Uhr, das müsste ich eigentlich schaffen. Normalerweise dauert die Fahrt nicht länger als zwei Stunden, mit Stau dann also vielleicht ein Stündchen länger, kommt hin.

Obwohl die Woche nur drei Arbeitstage hatte, war sie enorm stressig. Und so fühle ich mich auch. Gestresst. Die drei Tage an meinem Arbeitsort zählen fast für fünf, so lang ging es abends. Und dann war ich so aufgedreht, dass ich nicht einschlafen konnte, sodass mir auch jede Menge Schlaf fehlt. Naja, kann ich am verlängerten Wochenende nachholen, und am Freitag mache ich Brückentag, da kann ich ausschlafen.

Ich bin endlich aufgefahren und drehe die Musik lauter. Zäh. Sehr zäh. Ein Auto und ein Lkw am anderen, in Dreier- oder Viererreihen … Ich kann mich schlecht auf den Verkehr konzentrieren, fahre viel zu nah auf und muss zwei Mal fast eine Vollbremsung machen um dem vorweg fahrenden SUV nicht aufzufahren. Der Fahrer reagiert beim zweiten Mal entsprechend gereizt und schaltet die Warnblinkanlage an. ,Is‘ ja schon gut!‘, knurre ich und weiß natürlich, dass er recht hat. Also wech­sele ich schuldbewusst die Spur und lasse mich zurückfallen um ihn loszuwerden.

Während ich abwechselnd laut aus mir hinaus und leise in mich hinein fluche, hat sich der „zäh fließende Verkehr mit Stillstand“ zu einem handfesten Stau verdichtet. Stop and Go. Stop and Go. Aber eigentlich mehr Stop als Go und rote Bremslichter, wohin man schaut. Die mitgebrachte Musik fängt an zu nerven und ich schalte um aufs Radio. SWR3, die mit dem Elch.
Ich wechsele ständig die Spuren um einen minimalen Vorsprung herauszuholen. Linke Spur, mittlere Spur. Nur die rechte lasse ich weg; die gehört sowieso den Lkws. Natürlich funktioniert das nicht mit dem Spurenwechseln und ich sehe immer wieder dieselben Fahrzeuge und Leute neben mir. Die holländische Familie mit den fünf Fahrrädern (zwei aufm Dach und drei Kinderfahrräder hin­ten drauf aufm Träger) fährt jetzt schon zum dritten Mal an mir vorbei, und mittlerweile kenne ich die Farben der herausgestreckten Zungen der drei Kinder auf der Rückbank und habe keine Lust mehr zurückzuwinken. Stop and Go. Stop and Go. Stop.

Rechts von mir taucht ein Auto auf, das mir bisher noch nicht aufgefallen ist. Ein schnittiger asiatischer Kleinwagen in knalligem Rot. Den hätte ich vorher bestimmt gesehen, wenn. Am Steuer sitzt eine Person, die rhythmisch aufs Lenkrad trommelt. Am Takt erkenne ich, dass sie – es ist eine Frau – offenbar dieselbe Musik hört wie ich. Das ist ja lustig. Ich schließe auf und blicke ins Innere des Wagens. Wow!, die sieht ja hübsch aus, die Lady! Sie dürfte so etwa Ende 30 sein und hat lange dun­kelblonde Haare. Die Haarfarbe sieht echt aus. Sie trägt eine unspektakuläre Sonnenbrille gegen die Abendsonne und blickt unbeirrt geradeaus. Und trommelt weiter.

–> Fortsetzung: Teil 2/3

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