Allgemeines & BesonderesHeimweh und Fernwärme

Der Liebesstau (Teil 2/3)

 

Vor lauter Nach-rechts-Starren wäre ich dem vorausrollenden Fahrzeug beinahe aufgefahren. Mensch!, ich muss mich jetzt aber echt mal zusammenreißen. Jetzt komme ich unmittelbar neben der dunkelblonden Fahrerin zum Stehen. Ich fange an, übertrieben heftig und gestenreich auf mein Lenkrad einzutrommeln. Das müsste sie doch eigentlich bemerken. Tut sie auch. Sie blickt kurz nach links und muss ein bisschen grinsen. Glaube ich zumindest. Und schon rollt sie weiter, während auf der linken Spur Stillstand herrscht. Mist! Ich verzichte auf das ständige Spurenwechseln und hoffe auf Bewegung in meiner Spur. Endlich kann ich zu ihrem roten Flitzer aufschließen. Eigentlich könnte ich jetzt sogar vorbeiziehen, aber ich lasse mich zurückfallen und rolle genau auf ihrer Höhe weiter.

Sie guckt nochmals kurz zur Seite und schiebt – das kann doch nur Absicht sein – ihre Sonnen­brille hoch. Blaue Augen!, das kann ich erkennen.

So geht es noch eine ganze Weile weiter. Sie schaut, jetzt wieder mit der Brille auf der Nase, nach vorn und viel zu selten zur Seite, trommelt und swingt ein bisschen im Takt der Musik. Und plötzlich geht es weiter.

Ich weiß nicht, wie mir das passieren kann, aber ich verliere ihr Auto aus den Augen. Ist sie jetzt vor mir oder hinter mir? Soll ich Gas geben um sie noch einzuholen – oder mich zurückfallen lassen, damit sie zu mir aufschließt?

Eine Weile mache ich unentschlossen erst das eine, dann das andere, dann wieder das eine … Aber es ist sinnlos. Ich sehe sie nicht mehr und wundere mich selbst über die Enttäuschung, die ich empfinde. Und kann nicht aufhören, nach ihr Ausschau zu halten. Inzwischen hat die Abenddämme­rung eingesetzt und ich habe noch etwas über eine gute halbe Stunde zu fahren. Der Stau hat sich in nichts aufgelöst. Wenn ich jetzt weiter so durchkomme, schaffe ich es locker zum Männerabend. Aber ich muss aufs Clo und Durst habe ich auch.

Also setze ich den Blinker und fahre an der nächsten Raststätte raus. Hier war ich noch nie, denn sie ist mir eigentlich viel zu nah an zu Hause. Als ich an der Tankstelle vorbei Richtung Rasthaus fahre, durchfährt mich ein Blitz. Da steht er, der knallrote Kleinwagen. EU. Ich schaue aufs Nummern­schild und sehe erst jetzt, dass es sich wohl um einen Mietwagen handelt. Der dezent angebrachte EAN-Code bestätigt das. Also erstmal nicht aufs Clo. Ich stelle mein Auto ab und gehe in die Rast­stätte und suche jeden Winkel des Restaurants nach der blauäugigen Fahrerin des roten Wagens ab. Gleichzeitig versuche ich, den Ausgang der Toiletten im Auge zu behalten, falls sie von dort kommt.

Nichts zu machen. Sie ist nirgends zu entdecken. Inzwischen muss ich wirklich dramatisch drin­gend aufs Clo und sehe ein, dass ich das Suchen abbrechen muss. Ich gehe schnell zur Toilette und beeile mich.

Wieder nichts. Als ich das Rasthaus verlasse ohne mir etwas zu trinken gekauft zu haben, muss ich feststellen, dass der Parkplatz, auf dem der rote Wagen gestanden hat, leer ist. Mist! Sie ist weg. Und zum Männerabend komme ich jetzt auch zu spät.

Es ist mir selbst unheimlich, aber ich kann sie nicht vergessen. Dabei hat sie doch noch nicht mal mit mir geflirtet. Ich weiß, dass es verrückt ist, aber an den folgenden Freitagen halte ich auf dem Rück­weg nach Hause auf der Autobahn ständig nach ihr Ausschau. Was ja zusätzlich sinnlos erscheint, weil sie einen Leihwagen gefahren ist. Was nur bedeuten kann, dass sie die Strecke nicht regelmäßig fährt – und schon gar nicht immer zur selben Zeit, vorm Wochenende. Vier Wochen, fünf Wochen geht das so. Ich suche sie überall – und weiß noch nicht einmal, nach welchem Wagen ich suchen soll. Ich halte jedes Mal an dem Rastplatz an, immer ungefähr um die Uhrzeit und an der Stelle, an der ich ihren Wagen gesehen habe. Dort halte ich mich bis zu einer Stunde lang auf und beobachte den Parkplatz und das Restaurant, mit dem Eingang zu den Toiletten im Augenwinkel. Wie bescheuert.

–> Teil 3

 

 

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