Ich weiß nicht mehr genau, wann mir klar wurde, dass „Stephanie Bartsch“, die sich in diesem Buch „wieder zusammenrei[ß]t“, DIE „Steffi“ ist, die ich schon seit einigen Jahren kenne. Irgendwann verstand ich, dass die Autorin und vielleicht sogar „Heldin“ dieses Buchs eine Bekannte von mir ist.
Damit war dann auch schlagartig klar, dass die Person, um die es hier geht, keine fremde oder sogar erfundene ist, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Das hat meinen Zugang zu diesem … nein, nicht Roman … eher: Erfahrungsbericht von Anfang an verändert, und insofern ist auch diese Rezension nicht objektiv, kann sie auch nicht objektiv sein, aber … welche Rezension ist schon objektiv?! Das ist ja auch gar nicht ihr Ziel.
Vor vielen Jahren haben wir uns auf einem Bildungskongress kennengelernt. Der Kongress war recht dröge und nüchtern und steif, insofern war die lebhafte Steffi dort mein Highlight und Anker zwischen all den nicht uninteressanten, aber schwer zugänglichen Menschen. „schwer zugänglich“ war sie damals schon nicht, aber dass es mal ihre Aufgabe als (auch) Coach sein würde, sich selbst derart zu coachen, daran war zu dem Zeitpunkt nicht zu denken.
Als ich „die Steffi“ – zunächst nur auf dem Buchcover und auf Pressefotos – wiedersehe, ist sie, wie ich auch, älter geworden, aber zugleich, nicht zuletzt durch ihre raspelkurzen Haare, kantiger.
Die Steffi aka Stephanie Bartsch hat das erlebt, was man sonst wohl nur aus Krimis kennt. Normalerweise klingt im „tatort“ jemand an der Tür und sagt mit betroffener Miene: „Dürfen wir reinkommen? Wir haben leider eine schlechte Nachricht für Sie.“
Die schlechte Nachricht lautet: „Ihr Mann, Ralf, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.“
Bam! Abwegig. Absurd. Aber … autobiografisch für Steffi alias „Frau Bartsch“, wie sie sich selbst in dem Buch nennt. Wohl auch, um ein wenig Distanz zu sich selbst zu gewinnen.
Um den Unfalltod ihres geliebten Mannes zu verarbeiten, (be)schreibt und erlebt Stephanie Bartsch ihre ganz eigene und persönliche Roadstory. Sie kauft sich ein Wohnmobil und startet mehr oder weniger ins Ungewisse. Reisen bildet. Reisen lenkt ab. Reisen zwingt einen dazu, sich anderswo, in fremder Umgebung, durchzubeißen. Dass das hilft, das Unfassbare zu verarbeiten, kann man sich vorstellen, doch „darf“ man ein solches Schicksal mit Humor verarbeiten, wie sie es (auch) tut?
Ich finde, man darf Trauer mit fast allem verarbeiten. Mit Tränen, mit Wut, mit Kopfschütteln, mit Reden, mit Schweigen, mit Depression und mit Trotz, auch mit Kreativität, aber vielleicht nicht mit Gewalt (gegen Menschen; gegen im Weg stehende Sachen, das mag durchaus angehen und auch helfen). – Stephanie macht irgendwie von allem ein bisschen (außer das mit der Gewalt) – und zunächst „reißt“ und „reist“ sie sich zusammen, indem sie über ihre Erlebnisse während der Auszeit und des Unterwegs-Seins bloggt. Aus den Blogbeiträgen entstand dann dieses Buch, in dem Steffi die Leser und Leserinnen mitnimmt auf ihre Reise, letztlich (wieder) zu sich selbst (zurück).
Wie diese Reise ausgegangen wäre, wenn Steffi nicht nach relativ kurzer Zeit der Trauer mit Stefan zusammengekommen wäre, ist eine müßige Frage. Ebenso müßig und sinnlos wie die Frage, ob man sich nach so kurzer Zeit schon wieder neu verlieben kann oder gar „darf“. Dass nicht wir das zu entscheiden haben, ist eine der – im Gegensatz zu den tiefschwarzen Stunden – „Weißheiten“, die uns Stephanie Bartsch in ihrem „Reisebericht“ vermittelt … und hinzu kommen zahlreiche „Lebensweisheiten“, die – um das Spiel mit dem einen Buchstaben nochmals zu bemühen – ihr und uns das „Zusammenreißen“ leichter machen.
Ganz ohne Zitat möchte ich Sie jetzt aber nicht auf die „mit- und zusammenreißende Mitreise“ schicken. Und ich wähle bewusst einen der dunkleren Moment der Trauer:
Auf einmal ist die Trauer wieder stärker. Ich versuche die gute Laune vom Sonnenwetter mit hinüberzuretten, versuche mir einzureden, dass Wetter meine Laune nicht zu beeindrucken hat. […] Tränen kommen dennoch.
Der Versuch, aus Selbstmitleid Selbstmitgefühl zu machen: Ralf fehlt. Er fehlt mir. Er fehlt, weil er mein Zuhause war. Er war mein Zuhause, weil er immer an mich geglaubt hat. Mir Mut gemacht hat.
Ist es Ralf, der mir fehlt, oder könnte jetzt ein neuer Mann kommen, der mir dasselbe gibt, und es wäre okay?
Was okay ist und was nicht, darüber haben wir nicht zu befinden. Glück und die Suche danach fragt nicht nach „right or wrong“. Und wenn es kommt, dann wann und wie es ihm gefällt.
Stephanie Bartsch, Frau Bartsch reist sich zusammen. Wie ich auszog, das Trauern [nicht das Fürchten] zu lernen, und unterwegs das Glück fand. Berlin/München: Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH 2023, 256 Seiten; ISBN: 978-3-8270-1482-5; € 22,–